Lateinamerikas Weg auf dem Datenhighway ins dritte Jahrtausend: Der Run auf das virtuelle Eldorado
Der Autor des folgenden Artikels, Dr. Joachim Gartz, ist Lateinamerikahistoriker an der Universität zu Köln und Autor des deutschsprachigen Internet-Führers zu dieser Region: ,Lateinamerika Online: Theorie und Praxis effizienter Internet Recherchen im virtuellen Eldorado".
Ähnlich wie vor 500 Jahren der Mythos vom Eldorado die Phantasie der Konquistadoren beflügelte, die sich in Scharen auf die Suche nach dem sagenumwobenen Land machten, dessen König der Legende nach jeden Morgen in Gold badete, drängen heute im Zeitalter der digitalen Revolution zunehmend die Anbieter von Online Diensten auf den noch in hohem Maße unerschlossenen virtuellen Markt Lateinamerikas.
Bereits seit mehreren Jahren spricht man infolge des globalen Siegeszuges des World Wide Web auch von einem Internet-Boom in Lateinamerika. So zeigen die Statistiken der Internet Society (ISOC) beispielsweise, dass Lateinamerika im Jahr 1994 hinsichtlich der ,Internet Connectivity", d.h. der Zahl der registrierten Internetanbieter bzw. der geschätzten Internetbenutzer, die am schnellsten wachsende Weltregion gewesen ist. Der Grad der Vernetzung stieg dort im dritten Quartal 1994 um 36 Prozent, wobei in einzelnen Ländern noch wesentlich höhere Werte erreicht wurden (Argentinien 419%, Peru 171%, Venezuela 65%, Mexiko 48%).
Mit Statistiken lässt sich allerdings vieles beweisen. Trotz eines Vorsprungs gegenüber Afrika und dem Nahen Osten beträgt der Anteil Lateinamerikas an Internet-Nutzern insgesamt nur sehr geringe 1, 2% (Europa ca. 16%).
Dennoch stellt das virtuelle Eldorado mehr als einen modernen Mythos dar. Laut einer Studie der Laredo Group im Auftrag des New Yorker Online Dienstes Star Media Network bietet der spanisch- und portugiesischsprachige Internet-Markt mit derzeit 20 Millionen geschätzten Nutzern ein beachtliches Potential.
5,7 Millionen dieser Nutzer leben in Lateinamerika selbst, womit diese Internet Community an zweiter Stelle nach der englischen und vor der deutsch-, französisch- oder japanischsprachigen Gruppe von Nutzern des digitalen Datenhighways liegt. Den Prognosen von Wirtschaftsanalytikern zufolge soll sich die Menge von spanisch-/portugiesischsprachigen Internet-Nutzern im Laufe des kommenden Jahres sogar verdoppeln.
Aus diesem Grunde findet derzeit ein mit großem finanziellen Aufwand geführter Run auf die grenzenlosen virtuellen Märkte Lateinamerikas statt, was sich u.a. daran zeigt, dass die großen Web Portale wie Yahoo, Altavista etc. zunehmend spezielle Web-Seiten für ,hispano-hablantes" anbieten.
Der Online-Krieg um Lateinamerika wird jedoch weniger zwischen internationalen Konkurrenten geführt, sondern schon jetzt dominiert der ,Koloss im Norden" - die USA - den Cyberspace in ihrem Hinterhof. (In den USA liegt mittlerweile der Umsatz des Handels via Internet mit 301 Mrd. US Dollar auf etwa dem gleichen Niveau wie dem der US Automobilindustrie.)
Trotz aller Internet-Euphorie in Bezug auf Lateinamerika auf Seiten der Investoren bleibt jedoch festzustellen, dass die Benutzung von Online-Diensten in dieser Region einen Luxus darstellt, den sich nur eine, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sehr kleine, Informations-Elite leisten kann. Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass sowohl gemessen in absoluten Zahlen als auch am jeweiligen Lohnniveau, die Kosten für Computer, Internet- und Telefongebühren in Lateinamerika wesentlich höher sind als in den Industrieländern.
Ein positiver Aspekt der gegenwärtigen Situation der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen in Lateinamerika besteht darin, dass obwohl die gnadenlose Kommerzialisierung des Netzes langfristig auch in dieser Region nicht aufzuhalten sein wird, das Internetangebot bisher noch stark durch wissenschaftliche, politische und kulturelle Anbieter und entsprechende Inhalte geprägt ist.
Ein typisches Beispiel für den Versuch, das Internet in Lateinamerika nicht als Instrument der wirtschaftlichen Ausbeutung, sondern als Informationsangebot für möglichst breite Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, stellt das peruanische Wissenschaftsnetz, RCP - Red Científica Peruana , dar. (http://ekeko.rcp.net.pe/)
Das RCP ist ein von seinen ca. 60.000 Benutzern - ursprünglich primär Akademikern, Geschäftsleuten und Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben - finanziertes, nicht profitorientiertes Konsortium, das 1991 gegründet wurde und dem mittlerweile über 3000 Mitgliedsorganisationen angehören. Sein Direktor, Jose Soriano, hat es als ein autonomes Netzwerk bezeichnet, das nach dem Prinzip des Internets aufgebaut ist, ,a network of national networks that belongs to no one and everyone."
Aufgrund der mangelnden landeseigenen Telekommunikationsinfrastrukturen entwickelte sich das ursprünglich - ähnlich wie das gesamte Internet in seiner Frühphase - akademische Netzwerk zum erfolgreichen Internetprovider durch das 1993 begonnene Projekt der Cabinas Públicas . Es handelt sich dabei um öffentliche Internetzugänge mit jeweils ca. 20 PCs sowie einem Schulungszentrum, in dem das notwendige Know How auch an Menschen, die nicht zur Informationselite gehören, kostenlos vermittelt wird. Für ein sehr geringes Entgelt kann jedermann Mitglied in den selbstverwalteten Cabinas werden, wodurch sich auch für ärmere Bevölkerungsschichten die Möglichkeit eröffnet, mit einer persönlichen Email-Adresse ausgestattet den riesigen Informationspool des Internet zu nutzen. Es bleibt anzumerken, dass sich das jüngst auch von El Salvador übernommene Modell der Cabinas Públicas selbst trägt und sogar Profite für weitere Investitionen abwirft.
Während Lateinamerika insgesamt trotz hoher Wachstumsraten auf dem Internet-Sektor Gefahr läuft, mit der Entwicklung in den Industrieländern nicht mehr Schritt halten zu können (vgl. UNESCO : World Information Report (1997-1998), Paris 1997) stellt sich dieses Problem auf Kuba in besonderer Weise. Einerseits herrscht auf der Antilleninsel eine sehr ungünstige Ausgangssituation aufgrund des Mangels an modernen Hardware-Komponenten, der vor allem durch das nach wie vor geltende US-Embargo bedingt ist, und erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass der Internet-Zugriff von der Regierung streng kontrolliert wird und somit der Mehrheit der Bevölkerung verwehrt bleibt.
Im sozialistischen Inselstaat befinden sich die Funktionäre in dem Dilemma, dass sich ,das Streben nach Modernisierung und technischem Fortschritt mit dem Bedürfnis nach Kontrolle beißt" (Bert Hoffmann). Dem Wunsch, das Internet als kollektives Bildungsmedium zu nutzen und sich durch e-commerce neue Märkte zu erschliessen, steht die Angst vor der Verbreitung oppositioneller Ansichten über das World Wide Web gegenüber. Ebenso besteht eine Diskrepanz zwischen der mangelhaften Ausstattung mit zeitgemäßem Computerequipment im öffentlichen Bereich und dem relativ aufwendig gestalteten Internetauftreten der kubanischen Regierung.
Die offizielle Regierungsmeinung wird über das nationale Cubaweb (www.cubaweb.cu) verbreitet und das sowohl im Print erhältliche wie auch als Online-Ableger präsente Regierungsorgan Granma, benannt nach dem Namen des Schiffes, mit dem Fidel Castro 1953 mit einer Gruppe von Revolutionären aus dem mexikanischen Exil nach Kuba zurückkehrte, der 1959 erfolgreich der Herrschaft des Diktators Batista ein Ende machte und seitdem als dienstältester Regierungschef der Welt das politische Schicksal Kubas bestimmt.
Die täglich aktualisierte Online-Ausgabe der Granma Internacional wird komplett in sechs verschiedenen Sprachen angeboten, neben der spanischen existiert eine englische, deutsche, französische, portugiesische und italienische Version! (http://www.granma.cu)
Demgegenüber steht das ebenfalls mehrsprachig präsente nicht profitorientierte und regierungsunabhängige Cubanet mit Sitz in Florida, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, ungefärbt über die soziale, politische und kulturelle Wirklichkeit Kubas im Word Wide Web zu berichten (http://www.cubanet.org/) - so stehen sich die ideologischen Fronten auch im Internet gegenüber.
Der Weg ins virtuelle Eldorado ist noch weit. Doch viele haben sich bereits auf den Weg zur ,Conquista" der dynamischen Telekommunikations-Märkte Lateinamerikas gemacht...
Joachim Gartz
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